Die Digitalisierung des Kundendialogs im Versicherungswesen (Teil 2)

Nachdem wir im ersten Teil dieser Serie die methodischen Vorüberlegungen einer erfolgreichen Digitalisierung des Kundendialogs beschrieben haben, geht es nun um die konkrete schrittweise Umsetzung. Erfahren Sie mehr über ersten Schritte des insgesamt sechsstufigen Digitalisierungsmodells.
Angesichts der Herausforderungen, die die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt, müssen sich (nicht nur) Versicherer fragen: Reichen punktuelle digitale Veränderungen aus, um die Schnittstelle zum Kunden zu optimieren und seine Bedürfnisse zu erfüllen? Oder sind weitreichende Veränderungen nötig? In der Regel ist der Veränderungsbedarf hoch. Damit diese Veränderungen entlang der Wertschöpfungskette oder an den einzelnen Stufen der Customer Journey erfolgreich realisiert werden können, sind ein strategischer Plan und gezielte organisatorische und operative Maßnahmen notwendig, die Schritt für Schritt umgesetzt werden. Daraus ergibt sich ein sechsstufiges Modell für die Digitalisierung des Kundendialogs.
Stufe 1: Machen Sie eine Bestandsaufnahme
Jedes Unternehmen in der Versicherungsbranche hat unabhängig von seinem Geschäftsmodell bereits Erfahrungen mit digitalen Projekten gemacht, manche waren positiv, manche negativ. Welche Maßnahmen haben funktioniert, welche nicht – und warum? In der ersten Stufe, der Bestandsaufnahme, sammeln Sie alle Erfahrungen mit bereits laufenden digitalen Projekten in der Kundenkommunikation, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Dafür wird eine Arbeitsliste entwickelt, die folgende Punkte beinhalten kann:
- Wer ist eigentlich der Kunde? Sind Sie ausreichend über seine jeweilige Lebenssituation informiert, um ihn gezielt mit Produkten anzusprechen? Wie kann Ihr Unternehmen mithilfe der Digitalisierung seine Kunden besser kennenlernen?
- Für welche Stationen der Customer Journey hat Ihr Unternehmen digitale Maßnahmen entwickelt? Wie interagiert man mit dem Kunden?
- Über welchen Kanal kommt der Kunde in Kontakt mit Ihrer Versicherung, ihren Produkten und Services? Was ist die Kontaktursache? Welcher Kanal ist erfolgreich, welcher nicht?
- Was sind die Kundenbedürfnisse und -anfragen? Wie reagiert das Unternehmen darauf? Ist das Personal in der Filiale oder im Servicecenter dafür geschult und digital ausgerüstet?
- Können durch die digitalen Prozesse Neukunden gewonnen oder der Absatz gesteigert werden? Kann der Vertrieb mithilfe der digitalen Prozesse Kunden gezielter ansprechen? Wenn nicht, was sind die Gründe?
- Was ist die Perspektive des Kunden? Wie kann man aus seiner Sicht die Prozesse verbessern und einfacher gestalten? Empfiehlt der Kunde die Produkte und Services über die sozialen Medien weiter?
- Schaffen die digitalen Projekte einen besseren Service für Ihren Kunden? Werden neben den Produkten und Services weitere Zusatzleistungen angeboten?
- Wie sehr muss sich das Unternehmen digital verändern, um Produkte aktiv an den Kunden zu verkaufen und ihn langfristig zu binden?
Selbstverständlich kann diese Liste ergänzt werden. Wichtig ist, dass die bereits laufenden Projekte nach ihren Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen analysiert werden. Ziel sollte es sein, die digitalen Prozesse dahingehend zu verbessern und zu ergänzen, dass sie das Kundenerlebnis an den jeweiligen Kontaktpunkten verbessern und dadurch den Kundenbestand sichern und ausbauen. Last but not least: Zahlen diese Projekte auf eine übergeordnete digitale Strategie ein? Wenn nicht, müssen sie nachjustiert werden. Und wenn Ihr Unternehmen keine übergeordnete Digitalstrategie hat? Dann wird es allerhöchste Zeit!
Stufe 2: Formulieren Sie eine digitale Vision
Natürlich steht das Thema Digitalisierung in den meisten Unternehmen auf der Agenda. Aber oft wird der Begriff zu eng gefasst: Bei der Digitalisierung geht es nicht um IT und Technik, sondern um die Transformation des gesamten Unternehmens. Die Digitalisierung erneuert das Markenversprechen, verändert das Verhalten der Kunden, zerstört traditionelle Geschäftsmodelle und definiert neue.
Die Digitalisierung ist keine EDV 2.0, sondern eine Unternehmensstrategie, mit der neue Geschäftsmodelle und agile Arbeitsweisen entwickelt werden können, um die Bedürfnisse des Kunden in der digitalen Welt zu erfüllen. Für den Erfolg sind verschiedene Faktoren entscheidend: die Unternehmenskultur, die Organisationsstruktur sowie die individuelle Einstellung der Entscheider und Mitarbeiter. Erfolg versprechen hier Qualitäten wie Flexibilität, Schnelligkeit, Freude am Experimentieren und ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Das ist für viele Versicherer ein neues und ungewohntes Arbeitsumfeld. Die allermeisten Versicherer stammen aus einer Welt, in der die Prozesse stabil und sicher waren und etablierte Strukturen vorherrschten. Das behindert sie bei der Umsetzung digitaler Projekte gewaltig. Dafür benötigen sie dringend einen Kulturwandel, der Altes und Neues miteinander verbindet und Anreize zum Experimentieren schafft.
Voraussetzung für diesen Wandel ist eine digitale Vision. Sie dient als Leitgedanke, um die Digitalisierung des Kundendialogs neu aufzustellen und zu planen. Dabei sollten vier Leitfragen berücksichtigt werden:
- Wie sieht die Vision für die kommenden fünf oder zehn Jahre aus? Wollen Sie vielleicht einen rein digitalen Versicherer aufbauen, der mit eigenständigen, hochautomatisierten Prozessen vom Stammunternehmen abgekoppelt ist? Oder eine Smart-Insurance-Offensive starten, die die Versicherung neu denkt und zum Beispiel schon in der Prävention ansetzt, so dass ein Schaden im Idealfall erst gar nicht entsteht? Oder wollen Sie durch Big Data und Analytics Angebote zielgerichteter an die Kunden kommunizieren? Für die Absicherung von vorhandenen Geschäftsmodellen und die Entwicklung von neuen steht Ihnen ein „strategisches Zeitfenster“ offen, in dem das richtige Timing wichtig ist. Wer als Pionier zu früh kommt, hat wenige Chancen. Wer aber als Nachzügler zu spät kommt, den bestraft das Leben.
- Was will der Kunde? Sie werden vermutlich auch bei unbequemen Antworten landen, zum Beispiel bei Produktideen, die bisherige Produkte kannibalisieren. Vielleicht wird es schwierig, diese im Unternehmen umzusetzen, weil sie aktuelle Positionen gefährden und der Verlust zunächst viel klarer sichtbar sein wird als der potenzielle Gewinn. Dennoch sollten Sie vor solchen Projekten nicht zurückschrecken, sonst wird es jemand anders realisieren. Ein Tipp: Machen Sie die Bestandswahrer im Unternehmen zu Innovationsverbündeten, indem Sie diese die Kundensicht einnehmen lassen.
- Gibt es einen Austausch zwischen Mitarbeitern verschiedener Generationen? Setzen sich mit der Perspektive junger Menschen auseinander. Sie haben teilweise ganz andere Anforderungen an Produkte und Leistungen. Etablieren Sie in Ihrem Unternehmen digitale Arbeitsgruppen über Alters- und Hierarchiegrenzen hinweg. Belassen Sie es nicht bei Papierkorb-Projekten, trauen Sie ihren Experimentierteams echte Aufgabe zu, mit realistischem Budget und Unterstützung durch die Organisation.
- Tolerieren Sie Fehler? Die digitale Welt ist eine Terra Incognita. Sie wissen nicht, was Erfolg haben wird. Selbst die erfahrensten Tech-Investoren wissen es nicht. In einer Sackgasse zu landen, kann also den Besten passieren und wichtige Hinweise für zukünftige Projekte liefern. Die Herausforderung besteht darin, schnell zu reagieren, im Erfolgs- wie Misserfolgsfall – durch entsprechende KPIs und eine konsequente Exekution.
Die digitale Vision ist wohlgemerkt kein digitaler Masterplan. Sie ist vielmehr ein Leitgedanke, um das Versicherungsunternehmen auf die agile Entwicklung durch die Digitalisierung zu trimmen und es so zukunftsfähig aufzustellen, dass es die Kundenbedürfnisse in der digitalen Welt erfüllt. Daraus können dann entsprechende Änderungen und noch zu definierende, digitale Projekte abgeleitet werden. Diese Projekte sollten zunächst klein, überschaubar und flexibel sein. Wobei Versicherungen natürlich nicht so flexibel an allen Kontaktpunkten der Customer Journey agieren können wie andere Branchen. Dafür gibt es Gründe. Zum Beispiel den rechtlichen Datenschutz und der regulatorische Rahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Mehr über die weiteren Schritte bei der Digitalisierung des Kundendialogs erfahren Sie im kommenden Teil unserer Serie.
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
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