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Win-win im Online-Handel: Chancen und Herausforderungen durch Recommender-Systeme

Win-win im Online-Handel: Chancen und Herausforderungen durch Recommender-Systeme

Recommender-Systeme, die Kunden personalisierte Kaufvorschläge für Produkte und Dienstleistungen machen, gewinnen in Industrien wie dem Onlinehandel und der Reisebranche zunehmend an Bedeutung. Im Interview sprechen Prof. Dr. Gottfried Vossen und Leschek Homann von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster darüber, wie diese Systeme funktionieren und welche Herausforderungen und Möglichkeiten sie mit sich bringen.

Herr Vossen, welchen Nutzen haben Recommender-Systeme?

Gottfried Vossen: Grundsätzlich ist es das Ziel, personalisierte Empfehlungen für Dienstleistungen, Informationsangebote wie Nachrichtenartikel oder Produkte zur Verfügung zu stellen. Anwendungsfelder finden sich sowohl im B2B als auch im B2C, im Mittelpunkt stehen hier aber die Endkonsumenten. Diese profitieren besonders von personalisierten Angeboten, die ihrem Interesse, Profil oder ihrer Kaufhistorie entsprechen. Der Vorteil aus Kundensicht ist, dass die zeitaufwändige Suche nach bestimmten Produkten oder Dienstleistungen im heutigen Überangebot an Möglichkeiten entfällt. Auf der anderen Seite profitieren Unternehmen, die entsprechende Systeme einsetzen, von zusätzlichen Verkäufen. Vorausgesetzt sie liefern ihren Kunden personalisierte und geeignete Empfehlungen. Von einem gut implementierten Recommender-System profitieren sowohl Unternehmen als auch die Endkunden.

Wann sind Sie zum ersten Mal auf Recommender-Systeme aufmerksam geworden? Wann sind diese Teil des Vorlesungsprogramms an Ihrem Lehrstuhl geworden?

Gottfried Vossen: Empfehlungsdienste haben meine Aufmerksamkeit zum ersten Mal Ende der späten 1990er Jahre geweckt, als Amazon immer erfolgreicher wurde. Natürlich bin auch ich ein Endverbraucher, aber als Wissenschaftler begeistert es mich vor allem zu verstehen, wie die Dinge im Hintergrund ablaufen. Deshalb habe ich mich gefragt: Woher weiß Amazon, dass ein bestimmtes Produkt für mich interessant sein könnte? Dabei habe ich zunächst nach wissenschaftlicher Literatur im Bereich Empfehlungsdienste, sogenannter Recommender Systems, gesucht. Eine gute Zusammenfassung liefert zum Beispiel das Paper „Two Decades of Recommender Systems at Amazom.com“ von Smith und Linden. Ich entschied mich dazu, das Thema in meine Vorlesung zum Thema Datenintegration aufzunehmen, da es für die Industrie von Bedeutung ist und Empfehlungsdienste Daten aus einer Vielzahl von Quellen integrieren. Die zugrunde liegenden Konzepte können sowohl aus abstrakter als auch aus technologischer Sicht betrachtet werden. Das liefert eine schöne Kombination aus Theorie und Praxis für meine Vorlesung.

Herr Homann, warum interessieren Sie sich für Recommender-Systeme?

Leschek Homann: Ursprünglich habe ich mich mit meiner Forschung an der WWU auf die allgemeine Implementierung von Big-Data-Architekturen konzentriert. Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Arvato CRM Solutions haben wir die Anfrage erhalten einen Empfehlungsdienst für einen zu implementieren. Der Auftraggeber hat uns Daten aus verschiedenen Quellen wie zum Beispiel Kaufinformationen, Facebook-Posts oder Newsletter-Interaktionen zur Verfügung gestellt. Bei dem Projekt haben wir untersucht wie sich diese Daten kombinieren lassen und haben dabei außerdem verschiedene Empfehlungsalgorithmen angewendet und ausgewertet. Obwohl das Thema auf den ersten Blick keine direkte Übereinstimmung mit meiner Forschung im Bereich Big-Data-Architekturen zu haben scheint, hat es mich auf die Idee gebracht den Bereich Recommender-Systeme unter architektonischen Gesichtspunkten zu erforschen.

Herr Vossen, können Sie ein paar Dienste nennen, die der Großteil der Menschen nutzt und die im Hintergrund auf Recommender-Systeme zurückgreifen?

Gottfried Vossen: Recommender-Systeme sind Teil unseres täglichen Lebens. Im Business-Kontext nutzen Menschen Social-Media-Plattformen wie LinkedIn oder Xing, um mit ihren Geschäftspartnern in Kontakt zu bleiben. Einigen dieser Nutzer wird bereits aufgefallen sein, dass ihnen dort Personen empfohlen werden, die sie kennen könnten. Diese Empfehlungen berücksichtigen die bereits bestehenden Businesskontakte. Außerdem wird ihnen eine Liste mit interessanten Artikeln angezeigt, die auf ihren Profilinformationen und Interessen basieren. Das Anwendungsgebiet von Recommender-Systemen ist im privaten Umfeld noch größer. Zum Beispiel nutzen Content-Streaming-Dienste wie Netflix oder Spotify Recommender-Systeme, um ihren Nutzern sehenswerte Filme oder interessante Songs vorzuschlagen. Das gleiche macht Youtube. Der Video-Streaming-Dienst stellt Empfehlungen zur Verfügung, die auf dem Nutzer-Profil, den gesehenen Videos und den Kanälen basieren, denen ein Nutzer folgt.

Gibt es unterschiedliche Ansätze, Recommender-Systeme zu implementieren?

Gottfried Vossen: Es gibt zwei Ansätze, die heute weitestgehend genutzt werden. Zum einen ist das der Collaborative-Filtering-Ansatz, zum anderen die inhaltsbasierte Empfehlung. Collaborative-Filtering basiert auf der Idee, Kunden Empfehlungen auszusprechen, indem man Nutzer mit einem ähnlichen Geschmack oder einer ähnlichen Bewertungshistorie (unabhängig von bestimmten Produkten) identifiziert oder indem man Produkte findet, die von anderen Nutzern ähnlich bewertet wurden. In beiden Fällen ist der Ausgangspunkt die sogenannte Utility-Matrix, eine typischerweise große, aber dünn besetzte Tabelle aus vorhandenen User-Item-Bewertungen. Ein Film-Recommender-System verwendet zum Beispiel eine Utility-Matrix, die aus Filmbewertungen besteht. Das Ziel ist es nun, die leeren Felder zu füllen, indem Items im Hinblick auf ihre Ähnlichkeit verglichen und fehlende Bewertungen abgeleitet werden oder, indem auf die gleiche Weise mit den Nutzern verfahren wird. Bei inhaltsbasierten Empfehlungen werden Produkte oder Dienstleistungen, die der Gegenstand der Bewertung sind, ausschließlich auf Basis ihres Inhalts verglichen. Zum Beispiel werden Filme durch die Attribute Genre, Regisseur, Hauptdarsteller usw. charakterisiert. Wenn dann zum Beispiel ein Nutzer einen bestimmten Film X gut bewertet hat und Film Y ist anhand dieser Attribute ähnlich zu Film X zu bewerten, würde der Nutzer eine Empfehlung für Film Y erhalten.

Herr Vossen, eignen sich die unterschiedlichen Ansätze für bestimmte Anwendungsbereiche oder können sie allgemein angewendet werden?

Gottfried Vossen: Leider gibt es keinen einheitlichen Ansatz, der alle Anwendungsbereiche gleich gut abdeckt. Die berühmte Netflix-Challenge hat bereits gezeigt, dass erfolgreiche Recommender-Systeme nicht auf einem einzigen Modell basieren, sondern eher eine ausgeklügelte Kombination verschiedener Systeme darstellen. Diese werden als hybride Recommender-Systeme bezeichnet. Trotzdem kann man sagen, dass der Collaborative-Filtering-Ansatz sowie Clustering- und Machine-Learning-Ansätze in der Industrie am weitesten verbreitet sind und zum Beispiel von Amazon, Spotify oder Netflix genutzt werden. Inhaltsbasierte Filtering-Ansätze werden vor allem für Recommender-Systeme angewendet, die stark vom Inhalt der zu empfehlenden Elemente abhängen. Anwendungsfelder in diesem Gebiet sind zum Beispiel Recommender-Systeme für Artikel, Nachrichtenbeiträge oder Blogartikel, die darauf abzielen, Ähnlichkeiten zwischen den Vorlieben und Interessen von Nutzern und speziellen Inhalten zu identifizieren.

Lassen Sie uns über die Anwendungsfelder sprechen…

Gottfried Vossen: Die Themen Reisen und Essen stellen ebenfalls sehr nützliche Anwendungsgebiete für Recommender-Systeme dar. Beides sind Dinge, die die meisten von uns in ihrer Freizeit tun. Aber eine Reise in ein anderes Land oder in eine andere Stadt möchte im Vorfeld geplant werden. Besonders, seitdem sogar die abgelegensten Orte erreichbar sind, ist die Zahl möglicher Reiseziele riesig. Recommender-Systeme sind in der Lage diesen Prozess zu erleichtern, indem sie die Erfahrungen von gleichgesinnten Kunden berücksichtigen. Sie können hier auf eine Vielzahl öffentlicher Datenquellen zugreifen, um geeignete Empfehlungen zu generieren wie zum Beispiel Wetterkanäle, Bewertungsportale, Preise, Fluginformationen und so weiter.

Gibt es Einschränkungen bei den aktuellen Recommender-Systemen?

Gottfried Vossen: Die derzeitigen Recommender-Systeme funktionieren bereits sehr gut. Trotzdem gibt es immer noch Einschränkungen. Eine Herausforderung für die Wissenschaft ist das sogenannte Cold-Start-Problem. Aktuell ist es immer noch eine Herausforderung unbekannten Nutzern Empfehlungen auszusprechen. Mit anderen Worten: Was soll einem Nutzer vorgeschlagen werden, der erst vor kurzem einen Account eingerichtet hat? An diesem Punkt hat der Nutzer keine Bewertungs- oder Kaufhistorie, sodass der Collaborative-Filtering-Ansatz nicht in Frage kommt. Auf der anderen Seite könnte es für einen Kunden lästig sein, während der Kontoerstellung Fragen zu seinen Präferenzen zu beantworten. Das Cold-Start-Problem bei neuen Nutzern lässt sich auch auf neue Produkte und Services übertragen. Es kommt darauf an, das Produkt sichtbar zu machen und eine Beliebtheit bei den Nutzern einer Plattform zu erzeugen. Außerdem ist es wichtig, eine gute Balance zwischen zu erwartenden und unerwarteten Empfehlungen zu finden. Überraschend sind Empfehlungen, die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar und trotzdem interessant für einen bestimmten Nutzer sind. Der Begriff hierfür im Englischen lautet „Serendipity“, was so viel wie „Glücksfall“ bedeutet.

Herr Homann, wie sieht die Zukunft von Empfehlungsdiensten aus?

Leschek Homann: Wir denken, dass die Menge an Daten, auf die sich Recommender-Systeme beziehen, zunehmen wird. Das bedeutet, dass Vorhersagen durch Social-Media-Informationen wie Beziehungen zwischen den Nutzern berücksichtigen werden. Ich habe vor kurzem zusammen mit Denis Martins, Gottfried Vossen und Karsten Kraume ein Paper veröffentlicht, das einen Ansatz verfolgt das Cold-Start-Problem zu lösen. Hierzu werden die Vorlieben des sozialen Netzwerks eines Nutzers hinzugezogen, um initiale Empfehlungen für den Nutzer auszusprechen. Leider konnten wir zur Evaluierung nicht auf einen realen Datensatz zurückgreifen. Des Weiteren haben wir in dem Paper  eine mögliche Erweiterung eines Recommender-Systems vorgestellt, die die Beziehungsinformationen von Nutzern in ein bereits bestehendes Recommender-System integriert. Ich glaube, dass für die Zukunft von Recommender-Systemen der Kontext aus dem Empfehlungen gewonnen werden einen Einfluss auf die Ergebnisse haben wird. Auf Basis des Ortes, des Wetters, der Zeit oder sogar der Stimmung eines Kunden könnten unterschiedliche Empfehlungen generiert werden. Ein weiteres interessantes Forschungsgebiet bezieht sich auf die Generierung von Echtzeit-Empfehlungen. Es ist sehr anspruchsvoll einen Empfehlungsdienst zu entwickeln, dessen Modelle mit nahezu jeder neuen Information angepasst werden können.

Herr Vossen, Herr Homann, vielen Dank für das Interview.

 

Prof. Dr. Gottfried Vossen, Leiter der Database-Gruppe am Lehrstuhl für Informatik an der WWU Münster.

Prof. Dr. Gottfried Vossen leitet die Database-Gruppe am Lehrstuhl für Informatik der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Dabei konzentriert er sich auf eine Vielzahl von Gebieten, die eine starke Überschneidung mit Datenbanken und Datenmanagement aufweisen. Prof. Dr. Vossen hat seine akademische Ausbildung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen absolviert und ist neben seiner Tätigkeit an der WWU Honorarprofessor an der Waikato School of Management und Marketing in Neuseeland.

 

Leschek Homann, Doktorand am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der WWU Münster.

Leschek Homann ist Doktorand am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der WWU Münster. Homann studierte Informatik an der Technischen Universität in Dortmund und graduierte dort 2008. Nachdem er rund sieben Jahr als Software-Entwickler arbeitete, wurde Homann 2016 Teil des Teams von Prof. Dr. Vossen. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Big-Data-Architekturen und Big-Data-Benchmarking. Aktuell konzentriert sich Homann insbesondere auf die Architekturen von Empfehlungsdiensten und deren Auswertung.

 

 

Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: © maria_savenko – AdobeStock

 

 

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