Aktuelle Bücher: „Gibt es noch Marken in der Zukunft?“ von Christine Riedmann-Streitz – Erlebnisse auch jenseits der digitalen Welt

Von Apple bis Zara, von Adidas bis Zippo – Marken sind heute allgegenwärtig, einige haben es sogar zum Gattungsbegriff geschafft. Aber wie sieht deren Zukunft aus? Werden Marken angesichts der Veränderungen durch die Digitalisierung aussterben?
Globalisierung, Digitalisierung, Virtual Reality, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz – diese Buzzwords machen deutlich: Wir leben in einer Zeit gravierender Veränderungen. Wird es noch Marken geben, wenn künstliche Intelligenz, Empfehlungsalgorithmen und Automatisierung die Kontrolle und Deutung der Welt übernehmen? Diese Frage untersucht Christine Riedmann-Streitz in ihrem Buch „Gibt es noch Marken in der Zukunft?“. Die Gründerin und Geschäftsführerin der MarkenFactory GmbH zeigt dabei auf, worauf Marken achten müssen, um nicht an Vertrauen und Bedeutung zu verlieren. Zum Einstieg geht sie aber zunächst der Frage nach, was eine Marke eigentlich ausmacht – und warum sie wichtig für Verbraucher ist?
Marken bringen ihren Ausführungen zufolge einen bestimmten Status und ein Qualitätsversprechen mit sich. So geben sie Orientierung und Entscheidungshilfe. Ihrer Wirkung sind allerdings Grenzen gesetzt. Studien gehen davon aus, dass ein Mitteleuropäer täglich etwa 3.000 Markenkontakte hat. Da bleibt nicht viel Aufmerksamkeit für eine einzelne Marke. Die Schärfung von Markenidentität und -profil ist also unabdingbar für künftigen Erfolg.
Wichtige Markenwerte: Vertrauen und Innovation
Hinter jeder Marke stehen Werte, die sie antreiben. Einer davon ist das Vertrauen. Fehlt dieses, helfen alle anderen Faktoren nicht weiter. Damit ist Vertrauen auch ein wirtschaftlicher Faktor. Tesla erhielt nach der Ankündigung von Model 3 innerhalb von nur einer Woche 325.000 Vorbestellungen. Bei einer Anzahlung von jeweils 1.000 US-Dollar entspricht das einer Vorfinanzierung von 325 Millionen Dollar – die Basis dafür war das Vertrauen in Tesla und seinen Gründer Elon Musk. Umso gefährlicher ist es, das Vertrauen durch Strategien zu zerstören, die rein auf Effizienz abzielen. Starke Marken stehen für ihre Qualitäts- und Leistungsversprechen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Kundenservice, der das Gesicht der Marke nach außen mit prägt.
Ein weiterer Wert ist die Innovation. Die Lebenszyklen eines Produkts werden immer kürzer, die Halbwertszeit von Wissen sinkt rapide und insbesondere Commodity-Produkte sind problemlos auswechselbar – erst Innovationen und Alleinstellungsmerkmale schaffen Mehrwert und Wertschöpfung. Dadurch können sich Marktkräfte verschieben: Die Idee des selbstfahrenden Autos hat weitreichende Auswirkungen (siehe auch “Passenger Economy – ein Milliardenmarkt für neue Geschäftsmodelle”). Entstanden ist sie aber nicht bei der Automobilindustrie, sondern in IT-Konzernen.
Marken in einer Welt des Wandels
Die Digitalisierung führt in verschiedenen Bereichen zu Veränderungen. So befinden sich immer kleinere und leistungsfähigere Devices immer näher an uns – Sony arbeitet an einer Kontaktlinse mit eingebauter Kamera, Google und Novartis möchten eine Linse entwickeln, die Blutzuckerwerte messen und so Diabetikern helfen kann. Angesichts der damit verbundenen Datenerfassung wird das Vertrauen in die Marke, mit der man eine so enge Bindung eingeht, umso wichtiger.
Auch die Wahrnehmung bekommt neue Dimensionen, Stichwort Virtual und Augmented Reality. Wobei die Technologie erlebte Nähe nicht ersetzen kann: Selbst Digital Natives unter Jobbewerbern empfinden virtuell geführte Vorstellungsgespräche als mangelnde Wertschätzung. Auch die Haptik eines Produkts lässt sich nicht digital abbilden. Marken müssen also Erlebnisse jenseits der digitalen Welt kreieren. Schon heute eröffnen “digitale” Unternehmen wie Amazon und Zalando Filialen in der physischen Welt.
Wichtig ist angesichts dieser Veränderungen, dass Marken lebendig bleiben. Dann behalten sie ihre Relevanz. Nehmen wir das Beispiel Coca-Cola: In den 1950er Jahren lautete der Claim “Mach mal Pause”. In der heutigen Zeit, in der Sharing und Personalisierung allgegenwärtig sind, heißt es: “Trink ‘ne Coke mit…”.
Herausforderungen in vier Dimensionen
Damit stehen Unternehmen und ihre Marken nach Aussage der Autorin vor Herausforderungen, die sich in vier Dimensionen aufteilen lassen: Volatility (Volatilität), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit), kurz VUCA. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Volatile Märkte zeichnen sich dadurch aus, dass mit Veränderungen gerechnet werden muss. Sind Innovationen Verursacher des Wandels, dann profitieren die Marken, die den Umbruch initiiert haben – wie Apple mit dem Smartphone – oder die schnell eine starke Follower-Position aufbauen konnten, wie etwa Samsung. Aber auch andere Ereignisse können dazu führen, dass Verbraucher ihr Verhalten ändern. Marken müssen also nah am Kunden sein und gesellschaftliche Entwicklungen beobachten, um frühzeitig passende Lösungen anzubieten. Das Vertrauen in sie ist in volatilen Zeiten ihr Vorteil.
Ungewissheit kann etwa durch einen Skandal ausgelöst werden, wie bei den falsch deklarierten Bio-Eiern im Jahr 2013. Warum sollten Verbraucher einen Premiumpreis für einen Etikettenschwindel zahlen? Eine starke Marke, die ihren Kunden eine vertrauensvolle Lösung anbietet, kann Unsicherheit abfangen.
Komplexität wird durch ein Überangebot an Informationen hervorgerufen. Angesichts zahlreicher Kanäle, über die parallel kommuniziert werden kann, müssen Marken diese Kanäle mit passenden Inhalten bedienen, um relevant zu bleiben. Denn Verbraucher werden nur das wählen, was für sie wichtig ist.
Mehrdeutigkeit entsteht zum Beispiel bei sich widersprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über Wirkstoffe in Lebensmitteln. Auch hier schaffen Kompetenz, Reputation und Vertrauen – die Eigenschaften starker Marken – Orientierung. Allerdings darf das Vertrauen in die Marke nicht ausgenutzt werden.
Erfolgsfaktoren für die Zukunft
Wie sehen nun die Zukunftsaussichten für Marken aus? Grundsätzlich gut – wenn sie einiges beachten – so die Überzeugung von Christine Riedmann-Streitz. So ist es wichtig, On- und Offlinewelt nicht getrennt voneinander zu betrachten, beide Welten verschmelzen mehr und mehr. Städte werden zu Hybrid Cities, in denen zum Beispiel Freizeitspaß sowohl in Kletterparks als auch bei Pokemon-Go-Spielen geboten wird. Ebenso müssen Marken beide Welten “verinnerlichen” und zu Hybrid Brands werden. Hybrid Brands…
… ermöglichen eine nahtlose Customer Experience entlang einer nicht mehr linearen Customer Journey, die auch die urbanen Räume der Hybrid City mit einbezieht.
… bieten inhaltliche Substanz und nutzen den urbanen Raum für gesellschaftsrelevante Kommunikation. Damit wirken insbesondere Medienmarken gegen die Filterblasen von Algorithmen, die Nachrichten nur nach persönlichem Interesse des Nutzers bewerten.
… fokussieren ihre Kommunikation: Qualität statt Quantität.
… haben erkannt, wie wichtig Datenschutz für die Verbraucher ist.
… gehen von der Frage aus, was sie leisten können, um die Kunden bestmöglich zu unterstützen.
Hinter diesen Hybrid Brands stehen interdisziplinäre Teams, die Kompetenzen aus Markenführung, Kommunikation, Corporate Identity, Marketing, Psychologie, Design, Architektur, Kunst, Technologie sowie Markt- und Trendforschung zusammenbringen. Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Technologie dem Menschen dient. Wenn einer Marke das gelingt, dann hat sie einen festen Platz in der Zukunft.
Das Buch:
Christine Riedmann-Streitz: Gibt es noch Marken in der Zukunft? Hybrid Brands – eine Zukunftsvision für starke Marken, Springer Gabler, Wiesbaden 2017, 24,99 Euro
Die Autorin:
Christine Riedmann-Streitz ist Gründerin und Geschäftsführerin der MarkenFactory GmbH mit langjähriger Erfahrung aus leitenden Management-Positionen in Industrie, Handel und Agentur. Außerdem lehrt sie als Dozentin an renommierten Hochschulen und ist eine gefragte Keynote Speakerin.
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: tumsasedgars – Adobe Stock