Die Digitalisierung und der Arbeitsmarkt: Keine Panik?

Computer, Roboter und künstliche Intelligenz: Sind sie der Grund, warum die Hälfte aller Jobs in Zukunft wegfallen, weil die Maschinen die Arbeiten von Menschen erledigen werden? Das prognostizieren zumindest Forscher der Universität Oxford. Was ist dran am Horrorszenario einer weltweiten Massenarbeitslosigkeit?
Die Angst vor dem Ende der Arbeit und einer weltweiten Massenarbeitslosigkeit ist nicht neu. „Lediglich der Zeitpunkt ist umstritten. Die Experten sind in zwei Lager gespalten. Die einen behaupten, dass die Flut schnell ansteigt und in 20 Jahren 80 Prozent der Arbeitsplätze vernichtet sind. Die anderen sind der Ansicht, dieses Ergebnis werde erst später erreicht.“ Diese Sätze standen 1979, also vor genau 38 Jahren, im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Knapp 20 Jahre später, im Jahr 1997 stellte der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Weltbestseller „Das Ende der Arbeit“ die zentrale These auf, dass sich die Arbeitslosigkeit weltweit infolge der Automatisierung und Ausbreitung der Informationstechnologie in der Arbeitswelt massiv erhöhen werde – zig Millionen Arbeitsplätze in Herstellung, Einzelhandel, Landwirtschaft und Dienstleistungssektor würden durch die digitale Revolution überflüssig. Rifkin prophezeite, dass bis 2010 nur noch zwölf Prozent der Weltbevölkerung in der Produktion arbeiteten, bis 2020 sollten es nur noch zwei Prozent sein. Die Studie „The Future of Employment“ der britischen Wirtschaftswissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne erzeugt aktuell ein ähnliches Aufsehen wie seinerzeit das Buch von Rifkin. Sie kommen zum Schluss, dass perspektivisch über alle Sektoren hinweg 47 Prozent aller Berufe von Computern weltweit ersetzt werden können.
Weniger Arbeit oder neue Jobs?
Wie realistisch ist die These vom Ende der Arbeit infolge der Digitalisierung von Routinearbeiten? In der Tat bringen Computer, Roboter und künstliche Intelligenz viele Vorteile: Die Unternehmen sparen Personalkosten und verbessern ihre Services, weil es für die Kunden bequemer, schneller und auch günstiger wird. Wer braucht da noch menschliche Mitarbeiter? Aber steuern die Industriegesellschaften deswegen auf ein Ende der Arbeit zu? Die Meinungen von Wirtschaftswissenschaftlern und Arbeitsmarktforschern gehen da weit auseinander. Die einen gehen davon aus, dass sich die Menschheit durch die digitale Entwicklung irgendwann selbst überflüssig macht, die anderen sehen es gelassener und zeigen auf, dass die Digitalisierung in der Vergangenheit nicht zu weniger sondern sogar zu mehr Jobs geführt hat.
Kein Wettrennen mit der Technik
Ein Vertreter der optimistischeren Gruppe ist der Arbeitsmarktforscher Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er sagt: „Der Strukturwandel ist kein neues Phänomen. Er ist auch nicht bedrohlicher als in der Vergangenheit. Wir stellen fest, dass die Beschäftigung sogar eher gestiegen ist. Von daher erwarte ich keine technologiebedingte Massenarbeitslosigkeit.“ Die Arbeiten von Terry Gregory am Mannheimer Forschungsinstitut ZEW unterstützen diese Aussage. Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat zwischen 1999 und 2010 in ganz Europa etwa 9,6 Millionen Arbeitsplätze gekostet, dafür wurden in der gleichen Zeit aber 21 Millionen neu geschaffen. Gregory hat sich auch die Studie der englischen Kollegen genauer angesehen und festgestellt: „Frey und Osborne werfen alle Jobs einer Berufsklasse in eine Schublade und stufen sie gleichermaßen als automatisierbar ein.“ In Wahrheit sei die Vielfalt der Tätigkeiten eines einzelnen Berufs enorm. Oftmals verbergen sich dahinter sehr unterschiedliche Profile. Und die Routinearbeiten, die Computer und Roboter inzwischen erledigen können, machten nur noch einen kleinen Teil der Arbeitszeit aus. Den Schwerpunkt menschlicher Arbeit bilden heute komplexere Aufgaben: Abstimmungen im Team und die interne und externe Kommunikation mit anderen Bereichen. „Die menschliche Arbeit liefert sich also kein Wettrennen mit der Technik“, sagt Gregory. „Beide laufen Hand in Hand.“ Deswegen kommt seine Studie „Das Automatisierungsrisiko von Jobs“ auch zum Ergebnis, dass in allen OECD-Ländern nicht jeder zweite Job durch die Digitalisierung bedroht ist, sondern nur allerhöchstens jeder zehnte.
Steigende Nachfrage nach Spezialisten
Und was bedeutet das für den deutschen Arbeitsmarkt? „Ich halte eine Trendfortschreibung für plausibel. Basierend auf den letzten 20 bis 30 Jahren“, erklärt der Arbeitsmarktforscher Eichhorst. „Seit dieser Zeit haben wir bereits ein starkes Durchdringen von IT und Internet. Es wird mehr Nachfrage nach höher qualifizierten Menschen geben, nach Spezialisten, die sich gerade mit diesen Technologien auskennen. Dagegen werden jene Bereiche unter Druck geraten, die sich durch Automatisierung kostengünstiger und schneller abarbeiten lassen.“ Neue Jobs entstehen also für Spitzenkräfte und womöglich für Geringqualifizierte. Zum Beispiel beim 3D-Drucken: Der Ingenieur programmiert, der Ungelernte bedient. Und wer bleibt auf der Strecke? Der klassische Industriearbeiter. So sind allein in Deutschland seit 1995 laut OECD
acht Prozent der Arbeitsplätze mit mittlerer Qualifikation weggefallen, während die Nachfrage nach niedrig und hoch qualifizierten Kräften gestiegen ist.
Algorithmen erledigen das Kundenmanagement
Also kein Grund zur Panik? Vielleicht doch. Banken und Versicherungen stehen womöglich vor dem größten technologischen Umbruch ihrer Geschichte. Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden diese Branchen enorm verändern – auch deren Kundenmanagement. Hier werden inzwischen mithilfe von Chatbots und Computer-Algorithmen die eingehenden Daten – sei es eine Schadensmeldung oder eine Überweisung – schnell und fehlerfrei analysiert und bearbeitet. Menschliche Kundenbetreuer in Callcentern und Filialen werden für einfache Aufgaben bald schon kaum mehr benötigt, weil der Kunde die Meldung selbstständig über eine App auf seinem Tablet oder Smartphone erledigt. Der Sachbearbeiter schaut nur noch auf die komplizierteren Fälle. Zusätzlich werden z.B. Versicherungen immer mehr auf Automatisierung setzen und die Anzahl der Stellen im Kundenmanagement wird sich sukzessive reduzieren. Der IZA-Forscher Eichhorst ist jedoch skeptisch, dass sich der Stellenabbau im Kundenmanagement infolge der digitalen Revolution auf den kompletten Arbeitsmarkt auswirken wird: „Ich würde etwas Wasser in den Wein der Negativprognostiker gießen“, sagt der, „Man muss einfach sehen, dass die deutsche Industrie vom digitalen Wandel schon recht positiv profitiert hat. Warum sollte das in der Zukunft nicht so sein?“
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: zenzen – Adobe Stock