Die Herausforderungen der digitalen Welt: Interview mit dem Trendforscher Jörg Heynkes

Die Menschen mitnehmen und begeistern
Humanoide Roboter, Drohnen, Elektromobile, kohlendioxydneutrale Energieversorgung und künstliche Intelligenz werden unseren Alltag in den kommenden fünf Jahren nachhaltig verändern. Was bedeutet das für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im Allgemeinen und für die Kundenkommunikation im Besonderen? Ein Gespräch mit dem Trendforscher und Geschäftsführer des Innovationszentrums NRW Jörg Heynkes.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen der digitalen Welt?
Heynkes: Das sind ganz vielfältige. Die größte Herausforderung sicherlich ist, die Menschen mitzunehmen. Wenn uns das nicht gelingt, wird das Volk auf der Straße stehen und die Digitalisierung, so wie wir sie uns wünschen, stoppen. Damit wir aber die Chancen der Digitalisierung verstehen und nutzen, müssen wir viele Dinge verändern.
Nämlich welche?
Heynkes: Zum Beispiel unser gesamtes Bildungssystem, das schon heute die Grenzen des Machbaren erreicht hat. Es produziert bei weitem nicht die Qualität, die wir bräuchten. Mit anderen Worten: Unser Bildungssystem ist auf die Anforderungen der nächsten zehn oder 20 Jahre gar nicht vorbereitet. Das müssen wir schnell ändern. Wir müssen nämlich Millionen Menschen so fort- und ausbilden, dass sie Lust auf die digitale Welt bekommen. Sonst können wir einem Busfahrer, der seinen Job verloren hat, nicht klarmachen, dass das für ihn womöglich ein Glücksfall sein kann, weil ihm die digitale Welt viel mehr Chancen bietet.
Brauchen wir also eine neue Kultur?
Heynkes: Natürlich! Deutschland hat leider keine Veränderungskultur. Wir brauchen aber dringend neue Werte und neue Strukturen, die Lust auf Veränderung machen. Denn in den nächsten 20 Jahren werden wir uns von den Werten einer Leistungsgesellschaft verabschieden müssen und in eine Phase kommen, in der nicht mehr Menschen für Geld arbeiten, sondern Roboter und Algorithmen die Wertschöpfung erzielen. Diese Wertschöpfung muss jedoch anders verteilt werden als bisher. Mit anderen Worten: Wir müssen unsere gesellschaftlichen Systeme komplett neu erfinden. Das ist eine riesige Aufgabe.
Sehen das Wirtschaft und Politik auch so?
Heynkes: Wir stehen zwar erst am Anfang der vierten industriellen Revolution, aber schon heute ist klar, dass sie umfangreicher, globaler und schneller sein wird als alle vorherigen industriellen Revolutionen. Deswegen müssten heute schon die Menschen in Politik und Wirtschaft bereit sein, morgen alles anders zu machen als gestern. Aber ich sehe diese Bereitschaft noch nicht.
Warum sind wir in Deutschland dazu nicht bereit?
Heynkes: Wir sind leider nicht die Macher der Digitalisierung, weil wir auch große Berührungsängste vor der digitalen Technik haben. In Japan können Hausfrauen ihre kleinen Hausroboter selber programmieren, während in Deutschland das Programmieren nicht einmal ein Schulfach ist. Dabei wird uns die Digitalisierung langfristig mehr nutzen als schaden.
Wobei wird sie uns nützlich sein?
Heynkes: Grundsätzlich sehe ich in den kommenden Jahren mehr Chancen als Risiken. Zum Beispiel bei der Energieversorgung. Durch die Digitalisierung werden wir den globalen Energiebedarf in wenigen Jahrzehnten durch regenerative Energien komplett versorgen können. Alle Technologien sind vorhanden, werden jeden Tag preiswerter und die intelligente Vernetzung ist der Schlüssel zum Erfolg. Außerdem schafft die Digitalisierung enorme Möglichkeiten der Ressourceneffizienz, weil wir viele Dinge nicht mehr produzieren und transportieren müssen. Allein durch die Veränderung der Mobilität, hin zur Schwarmmobilität, werden künftig bis zu 80 Prozent der bisher verbrauchten Primärenergie in diesem Sektor eingespart werden.
Wird die Digitalisierung auch unser Kommunikationsverhalten verändern?
Heynkes: Selbstverständlich. Die Kommunikationswelt wird in den nächsten Jahren unglaubliche Umbrüche erleben. Das klassische Fernsehen mit der Tagesschau um 20 Uhr wird es in zehn oder 15 Jahren nicht mehr geben. Stattdessen wird sich der Medienkonsument seine Lieblingssendungen aus dem Angebot von Streaming- und Onlinediensten zusammenstellen. Und durch Augmented Reality wird eine völlig neue Dimension der Medienwelt entstehen, in der man interagiert und selbst zum Teil des Geschehens wird. Die Digitalisierung wird die Kommunikationswelt also sehr vielfältig begleiten. Was bedeutet das für die Produzenten von Medien? Für sie entsteht dadurch ein enormes Potential, um noch mehr Produkte zu entwickeln. Das werden aber nicht mehr klassische Medien wie TV oder Zeitungen sein. Selbst an unserem Arbeitsplatz wird sich die Kommunikation verändern. Intelligente Rechner werden für uns lästige Routinearbeiten selbstständig erledigen. Zum Beispiel Mails beantworten, Termine koordinieren oder Reisen buchen. Dadurch haben wir viel mehr Zeit, um uns auf die wirklich wichtigen Dinge bei der Arbeit zu konzentrieren.
Und was bedeutet das für Unternehmen? Wir werden sie künftig mit ihren Kunden kommunizieren?
Heynkes: Heute zeigt uns das Internet noch Werbung für Produkte, die uns gestern interessiert haben. Wenn das Gummistiefel waren, dann interessiert mich das vielleicht nächste Woche gar nicht mehr, weil es nicht mehr regnet. In Zukunft werden die Algorithmen so intelligent sein, dass sie das wissen und mir Angebote unterbreiten, die dem Wetter an meinem Wohnort entsprechen. Die Algorithmen werden sogar noch intelligenter und uns künftig Produkte anbieten, bevor wir überhaupt wissen, dass wir sie gebrauchen können und kaufen wollen. Es gibt sogar Gerüchte, dass Amazon uns diese Sachen bald aufgrund unserer bisherigen Bestellungen ungefragt ins Haus schicken wird.
Können klassische Unternehmen auf die Übermacht der Internetriesen wie Amazon in der digitalen Kundenkommunikation überhaupt noch reagieren?
Heynkes: Nehmen wir mal das Beispiel der Versicherer. Sie könnten sich in der digitalen Kundenkommunikation ja ähnlich attraktiv aufstellen wie Amazon. Manche machen das auch, aber die meisten tun es zu spät, zu langsam oder zu zaghaft, weil sie in der Regel zu wenig IT-Kompetenz besitzen. Für die meisten wird es daher schwer sein, den Rückstand in der digitalen Kommunikation aufzuholen. Sie werden sich auf ihre Kernkompetenzen und jene Produkte konzentrieren müssen, auf die Amazon keine Lust hat. Also auf alles, was eine intensive Beratung beansprucht und nicht mit drei Mausklicks zu erledigen ist. Gleichzeitig müssen sich Versicherer viel mehr Gedanken über ihren Datenschatz machen. Sie wissen so viel über ihre Kunden, aber entwickeln daraus keine neuen Mehrwerte oder Dienstleistungen. Dafür benötigt man viel Mut und noch mehr Kreativität. Einige werden das schaffen, viele nicht.
Und wohin wird uns die Digitalisierung noch treiben?
Heynkes: Ich hoffe nicht, dass sie uns Menschen unsterblich machen wird, wie es einige Zukunftsforscher bereits prophezeien. Die Medizin wird aber mithilfe der Digitalisierung mehr möglich machen, so dass wir sicherlich viel länger und auch viel gesünder leben werden.
Zu Person: Jörg Heynkes (geb. 1962) ist seit 1985 unternehmerisch in den Bereichen Medien, Eventmarketing, Projektentwicklung und als Geschäftsführer des Innovationszentrums NRW und der „VillaMedia“ in Wuppertal tätig. Seit 2013 ist er auch Vizepräsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer.
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: Konstantin Hermann – AdobeStock