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Hör mal, wer da spricht! Der Siegeszug der Chatbots

Hör mal, wer da spricht! Der Siegeszug der Chatbots

Chatbots sind in allen Bereichen des täglichen Lebens auf dem Vormarsch, erschließen neue und verändern alte Wege der Kundenkommunikation. Im Interview sprechen Prof. Nancy Wünderlich, Universität Paderborn, und Karsten Kraume, Arvato CRM Solutions, über Akzeptanz, Bedeutung, Anwendungsfälle und Zukunftsperspektiven der neuen Technologie.

Herr Kraume, das Thema Künstliche Intelligenz treibt die Forschung und die Unternehmen um, Chatbots sind in aller Munde. Nur Buzzwords und Modeerscheinungen?

Karsten Kraume: Nein, Chatbots sind im wirklichen Leben angekommen und zunehmend akzeptiert – über alle Altersstufen hinweg. Die Nutzung neuer Kanäle wie Live-Chat oder sozialer Medien nimmt zu, derzeit 2,4 Prozent. Das ist ein Ergebnis unseres repräsentativen CRM-Omnikanal-Panels 2018, in dem wir die Kanalpräferenzen für acht Kernbranchen und zehn Kontaktkanäle untersucht haben.  Und dabei wird über alle Kanäle zunehmend automatisiert. Damit haben wir direkt zwei Treiber des Chatbotwachstums.

Nutzer adaptieren die neuen technischen Lösungen also eher zögerlich?

Karsten Kraume: Ich denke, es ist alles eine Frage der Usability. Entscheidend bei der Kanalwahl ist für die Nutzer vor allem, dass sie ihr Anliegen auf diesem Weg gut klären können und eine vor allem schnelle Lösung erhalten. Eine performante Technologie ist deshalb eine Grundvoraussetzung für Chatbots. Und je besser diese die Kundenanforderungen erfüllen, desto mehr werden sie sich durchsetzen. Die Benutzerakzeptanz ergibt sich darüber hinaus im Wesentlichen aus der Struktur der Dialoge, das heißt der Art, wie der Bot antwortet. Übrigens kann ein Chatbot auch gut überbrücken, wenn ein Liveagent noch nicht verfügbar ist, denn die Erfahrung zeigt, dass Live-chats bei Wartezeiten größer einer Minute schneller abgebrochen werden.

Wir haben übrigens kürzlich einen Chatbot für mehr als 6.000 Nutzer an der Universität Münster umgesetzt und von zögerlicher Nutzung kann nicht die Rede sein, denn über 36 Prozent sind vom Webkanal in den Chatbot gewechselt.

Frau Wünderlich, wie kommt es, dass die Art und Weise des Dialogs so bedeutend ist?

Nancy Wünderlich:

Menschliche Kommunikation ist mehr als die effiziente Übermittlung von Informationen. Zusätzlich verändert jeder Kontakt die Wahrnehmung des Kunden auf das Unternehmen. Werde ich ernst genommen? Wird die Dringlichkeit meines Anliegens erkannt? Wirkt das Unternehmen authentisch? Wir haben das in einer Studie über die Rolle von künstlichen Kundenbetreuern untersucht: So beurteilen die Nutzer ihre Interaktion als weniger authentisch, wenn sie der Meinung waren, mit einem Chatbot zu kommunizieren. Die wahrgenommene Authentizität wirkt sich dabei positiv auf das Verhalten und die Einstellung des Nutzers aus. Obwohl gute Chatbots mittlerweile auch Stimmungen des Kunden erkennen können und dementsprechend reagieren, ist der Erfolg immer auch abhängig von dem Kontext der jeweiligen Servicesituation: So ist die Beurteilung des Kundenbetreuers im Bankenumfeld wichtiger als bei der Suche nach einem Produkt im Onlineshop.

Wie gelingt es, den Chatbots so etwas wie eine Persönlichkeit mitzugeben?

Nancy Wünderlich: Selbstverständlich nehmen Kunden so etwas wie „Persönlichkeit“ wahr – umso mehr je weiter die Technologie voranschreitet und umso natürlicher der Chatbot wirkt. Diese Persönlichkeit muss dabei nicht nur zu dem Unternehmen passen oder noch besser auf den konkreten Anwendungsfall, sondern muss auch authentisch wirken. Eine überdrehte Fröhlichkeit oder auch eine sehr monotone Roboterstimme sind sicherlich nicht die beste Wahl. Zudem gilt es auch, das sogenannte „uncanny valley“ zu beachten, die Akzeptanzlücke: Wirkt ein Chatbot zu menschlich, kann dies auch zu Irritationen führen. Wie genau der Chatbot auftreten sollte, wie stark die Anlehnung an die Unternehmensmarke ist und über welche sprachlichen Muster er den Kunden am besten ansprechen kann, um authentisch und kompetent zu wirken – das sind Fragen, die man am besten auf Basis des konkreten Anwendungsfalls beantwortet. So erheben wir typischerweise zuerst die Präferenzen der jeweiligen Kundengruppe, um dann konkrete Gestaltungshinweise zu geben.

Das Anwendungsgebiet spielt also eine entscheidende Rolle …

Karsten Kraume: Genau. Der konkrete Use Case ist von enormer Bedeutung und steht für uns im Vordergrund. Digitalisierung und der Einsatz von Chatbots um jeden Preis sind nicht automatisch die beste Lösung für ein Problem oder ein Unternehmen. Die Frage nach der Technologie kommt für uns deshalb nie im ersten Schritt. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Customer Journey und wie ein Unternehmen diese möglichst nahtlos und für beide Seiten gewinnbringend gestalten will. Das kann, muss aber keine rein technische Lösung bedeuten. Das Letzte, was Endkunden erwarten, ist ein Chatbot, der ohne ordentliches Design und losgelöst von anderen Touchpoints einer Marke im luftleeren Raum steht. Ich sehe hier eine gewisse Parallele zu dem Hype um Apps vor einigen Jahren: Apps sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Ebenso verlangt jede Branche nach einer individuellen Lösung, auch weil die Gründe der Kontaktaufnahme branchenspezifisch unterschiedlich sind. Auch unterscheidet sich die Back-End-Landschaft in verschiedenen Branchen oft stark. Ganz konkret möchte ich auch hier wieder auf das Projekt mit der WWU als Beispiel des Bildungssegments eingehen. Abstrakt gesprochen ist ein Studenteninformationssystem natürlich vergleichbar mit einem CRM-System, dennoch gibt es mitunter massive Unterschiede zu Back-End-Systemen anderer Branchen wie Healthcare oder Airlines oder einem Dealer Management System im Bereich Automotive.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Karsten Kraume: Die Unternehmen müssen entscheiden, wie sie ihre Customer Experience ganzheitlich abbilden und optimieren wollen. Das kann bedeuten, auf Automatisierung und Chatbots zu setzen, muss es aber nicht. Welche digitalen Möglichkeiten sich Unternehmen in dieser Hinsicht bieten, zeigt Arvato CRM Solutions Interessenten in seinem CRM Studio in Gütersloh und seit Kurzem auch in Berlin – anhand des fiktiven Reiseunternehmens QuantosX. Ebenso forschen wir aktiv in unserem Digital Lab am European Research Center for Information Systems (ERCIS).

Nennen Sie uns auch ein echtes Lösungsbeispiel?

Karsten Kraume: Der erwähnte Chatbot an der WWU Münster ist einer unserer Cases. Ich möchte aber gern auf ein weiteres ähnliches Beispiel eingehen. Kontowechsel 24, eine Tochter von Arvato CRM Solutions, hat nun als erster Anbieter einen Alexa Skill auf den Markt gebracht, mit dem Bankkunden „auf Zuruf“ ihre offenen Fragen rund um den Kontowechsel klären können und der den automatisierten Wechsel des Kontos unterstützt. Der neue Skill ist ein ergänzendes Angebot für den digitalen Kontowechselservice, der alle Zahlungspartner automatisch über die neue Kontoverbindung informiert.

Wie messen Sie generell den Erfolg eines Chatbots?

Karsten Kraume:

Da gibt es verschiedene Metriken. Zum einen messen wir die „adoption rate“. Im oben genannten Beispiel bin ich auf die über 36 Prozent Nutzung des Chatbots eingegangen. Diese hat der Chatbot dem Self-Service im Web „abgejagt“. Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Ein anderer Parameter, den wir analysieren, ist die Responsetime des Bots. Diese hängt oft von anderen integrierten Systemen ab. Ähnlich wie beim Chat mit einem Agenten sind nur gewisse Wartezeiten tolerierbar.

Frau Wünderlich, als Wissenschaftlerin haben Sie vielleicht einen anderen Blick auf Bots und Assistenten. Wo sehen Sie Einsatzmöglichkeiten?

Nancy Wünderlich: Im Augenblick können textbasierte Chatbots und Sprachassistenten ihre Stärken besonders dort ausspielen, wo es um die Vereinfachung oder Optimierung von Kommunikation im weitesten Sinne geht. Sie beantworten besonders gut regelbasierte Anfragen – unermüdlich, rund um die Uhr – um im Servicebereich Kundenberater zu entlasten. Allerdings ist dies erst der Anfang: Durch die stetige Weiterentwicklung der dahinterstehenden KI beginnen wir jetzt, Chatbots in Bereichen einzusetzen, die ein wesentlich umfangreicheres Verständnis, Schlussfolgern und sogar Planungsspielräume erfordern. Ich gehe davon aus, dass mittelfristig auch einfache Beratungs-, Verkaufs- und sogar soziale Dienstleistungen von Chatbots erbracht werden. Insbesondere in der öffentlichen Verwaltung sehe ich einen bedeutsamen Einsatzbereich.

Einige Nutzer haben noch Vorbehalte gegenüber Chatbots und virtuelle Assistenten. Welche offenen Fragen oder Risiken sehen Sie?

Karsten Kraume: Bots müssen trainiert und überwacht werden, denn ein Chatbot ist nur so gut wie seine „Ausbildung“. Er überbringt letztlich nur die Antworten, die ihm von seinem KI-Developer mitgegeben oder selbstlernend zugestanden werden. Für Anbieter bedeutet das, sich möglichst genau in die Lage der Endkunden zu versetzen, etwa indem Kundenanfragen mittels Text Mining analysiert werden, um relevante Themen herauszuarbeiten. Und natürlich benötigt der Chatbot einen menschlichen Gegenpart, der bei komplexen Themen gegebenenfalls sogar automatisch übernehmen kann. Einer der Erfolgsfaktoren wird es sein, diese Schnittstellen und Übergänge vom Chatbot zur Mensch-Mensch-Kommunikation möglichst nahtlos, ohne Brüche zu gestalten. Wir sehen regelmäßig, dass ein Umdenken erforderlich ist und entsprechende Betriebsstrukturen für den Unterhalt eines Bots aufgebaut werden. Dabei helfen wir sehr gern, insbesondere, weil wir natürlich auch selbst viel organisatorisch umbauen mussten und entsprechend gelernt haben.

Welchen Beitrag kann dabei die Forschung leisten?

Karsten Kraume: Die Forschungen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen sind essenziell: Gerade die Kooperation von Industrie und wissenschaftlicher Forschung wie sie im ERCIS Omni-Channel Lab vorgelebt wird, bringt Fortschritte für alle Beteiligten. Hier treffen akademische Forschung und Lehre und weltweite Industrieerfahrung zusammen. Wichtige Impulse erhoffen wir uns auch von der jüngst gestarteten Initiative CLAIRE, bei der Arvato CRM Solutions als Sponsor mit an Bord ist. CLAIRE zielt darauf ab, ein europäisches Netzwerk von Kompetenzzentren für Künstliche Intelligenz in ganz Europa zu schaffen. Ziel ist es, im Bereich der Künstlichen Intelligenz eine ähnliche Wirkung und Markenbekanntheit zu erreichen wie beim CERN, Europas weltweit führendem Labor für Teilchenphysik. Neben der technischen Sicht sehe ich eine sehr hohe Schnittmenge mit der Marketingfunktion und -forschung und Experten wie Nancy Wünderlich oder auch Manfred Krafft und Mirja Kroschke vom Marketing Center Münster.

Noch einmal in die Zukunft gedacht: Werden Chatbots auf Dauer die menschlichen Servicemitarbeiter vollkommen ersetzen?

Karsten Kraume: Ganz klar sind Chatbots auf dem Vormarsch. Dennoch werden sie meines Erachtens in absehbarer Zeit den Faktor Mensch nicht komplett ersetzen können, und ich bin skeptisch, ob dies von den Nutzern überhaupt in jeder Situation gewünscht wird. Die Ergebnisse unserer Customer Survey 2027 deuten eher in eine andere Richtung: Sie unterstreichen die besondere Rolle der menschlichen Komponente und sprechen auch bei zunehmender Technisierung für hybride Lösungen bei der Gestaltung der Customer Experience.

Nancy Wünderlich: Dem kann ich mich anschließen. Auch wenn Chatbots durch Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen immer besser und leistungsfähiger werden, zeigen unsere Studien, dass die Kommunikation mit einem Bot als weniger authentisch wahrgenommen wird, gerade wenn es zu Unsicherheiten gegenüber der Identität des Gegenübers kommt. Diese Diskrepanz ist ein Störfaktor. Eine reine Kommunikation mit Bots, oder gar von Bot zu Bot, halte ich mittelfristig für unwahrscheinlich. Gerade für komplexere Themen oder Beschwerden braucht ein exzellenter Kundenservice nach wie vor menschliches Einfühlungsvermögen.

Frau Wünderlich, Herr Kraume, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

 

Nancy Wünderlich ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Dienstleistungsmanagement im Department Management der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn. Sie ist Co-Autorin der Studie „A Nice and Friendly Chat with a Bot: User Perceptions of AI-Based Service Agents“ (mit Stefanie Paluch, RWTH Aachen).

Karsten Kraume ist CIO/CSO bei Arvato CRM Solutions und vertritt Arvato als Beiratsmitglied beim European Research Center for Information Systems (ERCIS) sowie bei Forschungsprogrammen wie Business Process Management RISE.

 

Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Fotos: © sdecoret – AdobeStock

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