Wie Big Data und künstliche Intelligenz den Versicherungsmarkt verändern

Big Data und künstliche Intelligenz spielen eine entscheidende Rolle dabei, aus Daten Mehrwert zu schaffen. Damit sind diese Technologien hochinteressant für Versicherer, die Zugriff auf große Datenmengen haben. Wie wird sich der Versicherungsmarkt dadurch verändern, und was bedeuten diese Technologien für die Kundeninteraktion?
Die Studie „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz“ der BaFin untersucht, welche Auswirkungen die beiden Technologien für den Finanz- und Versicherungsmarkt haben. In einem ersten Artikel haben wir bereits die Perspektiven für den Bankenmarkt zusammengefasst, nun geht es um die Veränderungen für Versicherungsunternehmen und ihre Kunden.
Marktbetrachtung Versicherungen
Die Versicherungsbranche nutzt traditionell große Mengen strukturierter Daten für aktuarielle Aufgaben (zum Beispiel versicherungsmathematische Berechnungen auf Basis von aufsichtsrechtlichen Vorgaben). Dennoch wenden erst einige Anbieter weltweit BDAI-Technologien entlang der klassischen Wertschöpfungsketten an oder testen sie. Auch in Deutschland haben einzelne Versicherungsunternehmen erste Initiativen gestartet. Eine flächendeckende BDAI-Nutzung ist auf dem globalen Versicherungsmarkt aktuell aber nicht zu sehen.
Zwei Herausforderungen haben die Marktdurchdringung von BDAI bisher verzögert: Erstens gibt es bisher nur geringe Erfahrungen im Umgang mit neuen Datenquellen und selbstlernenden Algorithmen. Zweitens ist die aktuelle Datenerfassung häufig nicht auf verhaltensbezogene Daten ausgerichtet und Datensilos verhindern teilweise eine Nutzung der Daten im BDAI-Kontext.
Allerdings investiert insbesondere die deutsche Versicherungsbranche mittlerweile hohe Beträge in die Digitalisierung, vor allem zur nötigen Harmonisierung der Kernsysteme. Denn zum einen ist der Kostendruck durch die anhaltende Niedrigzinsphase gestiegen, was Effizienzgewinne durch die Digitalisierung immer attraktiver macht. Zum anderen häufen sich die Anzeichen dafür, dass neue Wettbewerber – viele von ihnen mit hoher Technologieexpertise – in den Versicherungsmarkt eintreten möchten.
Auswirkungen von BDAI auf den Versicherungsmarkt
BDAI bietet viele Möglichkeiten für einen Einsatz in der Versicherungsbranche, etwa die gezielte Kundenansprache mit individuellen Produktangeboten. Das ist für konventionelle Versicherer ebenso interessant wie für neue Wettbewerber.
Traditionelle Versicherungsunternehmen haben im Vergleich zu Insurtechs und Bigtechs in der Regel mehr Erfahrung mit regulatorischen Anforderungen, einen tiefere Branchenkenntnis und sie genießen mehr Vertrauen bei den Verbrauchern, was den Umgang mit sensiblen Daten angeht. Wenn sie diese Wettbewerbsvorteile bewahren und gleichzeitig ihre BDAI-Technologien und -Kompetenzen stärken, befinden sie sich in einer guten Ausgangslage, um ihre Marktposition insbesondere an der Kundenschnittstelle zu sichern. Sollten sich traditionelle Anbieter mittel- bis langfristig aus den Kundenschnittstellen zurückziehen oder aus ihnen verdrängt werden, könnten sie sich auf Kernfunktionen wie die Risikoträgerschaft fokussieren und mit Insurtechs und/oder Bigtechs zusammenarbeiten.
Der derzeitige Wettbewerbsvorteil von Bigtechs liegt in der höheren Expertise bei BDAI-Technologien. Zudem verfügen sie meist über eine breitere Kundenbasis sowie einen festen Kundenstamm, der sich an die einfache Bedienbarkeit der angebotenen Services gewöhnt hat. So können sie neue Geschäftsmodelle schneller skalieren. Allerdings müssten sie Know-how in Bezug auf regulatorische Anforderungen und Branchenkenntnisse zukaufen oder aufbauen. Daher könnte eine Strategie darin bestehen, zumindest vorerst nur an der Kundenschnittstelle in den Versicherungsmarkt einzutreten und selbst keine Versicherungsprodukte zu entwickeln, sondern Produkte von Versicherungsunternehmen zu vertreiben. Der nächste Schritt wäre die Entwicklung und der Vertrieb von eigenentwickelten BDAI-basierten Versicherungsprodukten.
Insurtechs agieren zurzeit insbesondere an der Kundenschnittstelle sowie als Unterstützer von Kernprozessen. Sie sind in der Regel auf einzelne Versicherungsfunktionen spezialisiert. Ungeachtet dieser Präsenz hat sich der Markt durch Insurtechs bislang nicht stark verändert. Auch in den kommenden Jahren rechnen die Autoren der Studie nicht mit einer Veränderung, da es dem Großteil der Insurtechs an einer breiten Kundenbasis mangelt. Ihre Strategie könnte es daher weiterhin sein, ihre BDAI-Expertise in Kooperationen mit konventionellen Versicherungsunternehmen zu nutzen.
Allgemein könnten durch BDAI hervorgerufene Effizienzgewinne die Profitabilität von Versicherungsunternehmen kurzfristig steigern. Allerdings würde der Wettbewerb dazu führen, dass sich die Marktpreise an die neue Kostensituation anpassen. Durch eine gezielte BDAI-unterstützte Vertriebssteuerung könnten Versicherer allerdings die Konsumentenrente abschöpfen, indem sie Kunden Angebote zu einem Preis unterbreiten, der ihrer individuellen Zahlungsbereitschaft entspricht. Die ebenfalls mit BDAI einhergehende höhere Individualisierung von Produkten verringert zudem deren Vergleichbarkeit.
Eine weitere mögliche Folge von BDAI: ein stärkerer Verdrängungswettbewerb. Traditionelle Versicherungsunternehmen mit hohen Investitionsbudgets könnten als Vorreiter bei der Nutzung der neuen Technologie Vorteile im Markt erzielen. Ähnlich könnten Bigtechs und einzelne Insurtechs vorgehen, die über eine Erlaubnis zum Betrieb von Versicherungsgeschäften verfügen. Nachzügler hätten es schwer und könnten vom Markt verdrängt werden, wenn sie nicht in Nischen ausweichen.
Auswirkungen auf die Kundenschnittstelle
Durch BDAI-Technologien wird sich sowohl der gezielte Vertrieb von individualisierten Produkten als auch das Kundenerlebnis verändern. Im Vertrieb ermöglicht BDAI ein kontinuierliches, individualisiertes Marketing, das jedem Kunden genau auf seine Lebenssituation zugeschnittene Produkte anbietet. Dazu gehören auch temporäre situative Versicherungen, etwa für eine Pkw-Probefahrt oder einen Skiurlaub.
Die Digitalisierung hat für die Kunden bereits heute bei zahlreichen Versicherern Prozessschritte beim Vertragsabschluss, bei der Bestandsverwaltung und der Schadenregulierung vereinfacht. Durch BDAI kann dies noch weiter ausgebaut werden. Etwa, indem Bots und digitale Assistenten weitere Prozesse automatisieren. Und so macht BDAI die Kundeninteraktion mit Versicherern einfacher, schneller und individueller.
Die Studie „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz. Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen“ ist hier erhältlich.
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: © Worawut – AdobeStock