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Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky im Interview: „Die Digitalisierung ist die größte Chance der Menschheit“

Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky im Interview:  „Die Digitalisierung ist die größte Chance der Menschheit“

Die Zukunft vorhersagen zu können, war und ist ein großer Traum der Menschheit. Zukunftsforscher haben es sich zur Aufgabe gesetzt, diesen Traum wahr werden zu lassen. Doch wie arbeiten moderne Zukunftsforscher und wie verlässlich sind ihre Prognosen? Welche zukünftigen Entwicklungen sind heute schon abzusehen, etwa beim Kundendialog? Ein Gespräch über diese und weitere Fragen mit dem Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky.

Wie und warum sind Sie Zukunftsforscher geworden?

Ich habe Politikwissenschaften und Journalistik studiert und anschließend rund zehn Jahre als Journalist bei verschiedenen Radiosendern gearbeitet. Das hat zwar Spaß gemacht, aber ich war auch unzufrieden damit, immer erst dann über etwas berichten zu können, wenn eigentlich schon alles passiert war. Ich wollte dabei sein, wenn Entscheidungen getroffen werden, die wichtig für unsere Zukunft sind! Also habe ich erst Zukunftskongresse organisiert, dann auch noch Workshops veranstaltet und einige Studien durchgeführt. So ist Schritt für Schritt mein Institut entstanden, der 2b AHEAD ThinkTank. Inzwischen gibt es übrigens Studiengänge für Zukunftsforscher.

 

Was ist die Grundlage für Ihre Arbeit und Ihre Prognosen?

Wissenschaftliche Methoden. Die Zukunftsforschung ist eine Teildisziplin der qualitativen Sozialforschung und wendet insbesondere zwei Vorgehen an: die Delphi-Methode und die Zukunftsszenarien. Unsere Arbeit besteht im Wesentlichen aus langen Tiefeninterviews mit Menschen, die mit ihren heutigen Entscheidungen Einfluss auf die Zukunft haben – rund 1.500 Strategie-, Innovations- und Technologiechefs von großen, markttreibenden Unternehmen weltweit. Wir fragen sie, was sie gerade tun, warum sie es tun und was ihrer Meinung nach daraus in fünf oder zehn Jahren entsteht. Daraus entstehen dann Trendfelder und Zukunftsbilder, also Alltagsbeschreibungen der Zukunft.

 

Sie haben schon mehrmals erleben können, wie treffsicher Ihre Prognosen waren. Welche Überraschungen gab es dabei für Sie?

Die jüngste Überraschung war die Vorstellung des neuen Google Assistant auf der Entwicklerkonferenz I/O: Der Assistant ruft im Auftrag des Nutzers bei einem Friseursalon und einem Restaurant an, um einen Termin zu vereinbaren beziehungsweise einen Tisch zu reservieren. Genau diese Art von Software mit diesen Möglichkeiten habe ich 2008 für den Massenmarkt im Jahr 2020 prognostiziert. Dass wir zeitlich eine solche Punktlandung hingelegt haben, war eine schöne Überraschung.

Andere Prognosen bewahrheiten sich schneller, als von uns erwartet – selbstfahrende Autos beispielsweise. Es gibt natürlich auch Entwicklungen, die deutlich länger auf sich warten lassen. Zum Beispiel habe ich 2008 prognostiziert, dass das Internet sich 2020 zu einer 3-D-Welt entwickelt hat. Die Basis dafür waren die Aussagen der Displayhersteller, dass sie bis dahin 3-D-Displays im Massenmarkt platziert haben, für die keine Brille nötig ist. Das ist bisher offensichtlich nicht der Fall.

Das zeigt einen Schwachpunkt der Zukunftsforschung: Wenn die Annahmen der Experten falsch sind, dann gehen wir von falschen Voraussetzungen aus und unsere Ableitungen sind ebenfalls falsch.

 

Sprechen wir über andere Aspekte Ihrer Arbeit. Sie haben die „Rulebreaker Society“ – ein Netzwerk für Querdenker – initiiert. Warum ist es wichtig, Regeln zu brechen?

Weil Regeln immer dazu dienen, etwas „Altes“ zu erhalten. Und das ist schlicht innovationsfeindlich. Wenn sich alle Menschen immer nach alten Mustern verhalten, gibt es keinen Fortschritt. Alle großen Entdecker der Menschheitsgeschichte sind letztlich Regelbrecher: Menschen, die bestehende Regeln nicht akzeptiert haben und überzeugt davon waren, dass es bessere gibt.

Das lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. Wenn ein Unternehmer die Regeln seiner Branche nicht akzeptiert und sie im Sinne seines Unternehmens und seiner Kunden bricht, rollt er den Markt von hinten auf. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, auch aus Deutschland. Etwa Horst Rahe, den Erfinder der AIDA-Clubschiffe. Kreuzfahrten waren ursprünglich teuer, elitär und konservativ. Mit AIDA wurden sie bezahlbar, offen für den Massenmarkt und boten Unterhaltung und Programm wie ein Cluburlaub.

Ihr Institut steht Topmanagern bei der Entwicklung neuer Strategien und Geschäftsmodelle zur Seite. Was vermitteln Sie denen?

Die Grundlage für unsere Beratung ist ein Zukunftsbild, das wir mit unserem Kunden entwickeln. Es zeigt, wie sich unter anderem seine Branche, Kunden, Geschäftsmodelle, Wettbewerber und die Gesellschaft entwickeln. Anschließend erarbeiten wir mit ihm die Positionierung seines Unternehmens in dieser Zukunft. Dann folgt erstens die Entwicklung der entsprechenden Strategie, um diese Positionierung zu erreichen. Zweitens die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle beziehungsweise -ideen, die in Pilotprojekten zu testen sind. Und drittens geht es um die Entwicklung der nötigen Kompetenzen: Wie kann man beispielsweise die Mitarbeiter auf diese Reise mitnehmen und ihnen zeigen, dass Veränderungen gut sind und Chancen bieten? Wie kann man sein eigenes Verhalten ändern, wenn nötig?

 

Wie gut sind Unternehmen in Deutschland aus Ihrer Sicht für die Zukunft – die kommenden zehn Jahre – aufgestellt?

Hier muss man differenzieren: Es gibt Regionen, die bei der technischen Entwicklung mit deutlich höherem Tempo unterwegs sind als Deutschland. Ich spreche insbesondere von China und dem Silicon Valley, die hier mit deutlichem Abstand führen. Außerdem gibt es noch einige Hotspots wie Tel Aviv oder Singapur. Wenn wir also die technische Entwicklung in Deutschland mit China vergleichen, dann steht unsere Wirtschaft – vorsichtig ausgedrückt – nicht so gut da.

Aber alle anderen Regionen, auch in Europa oder den USA, sind in den meisten Fällen noch langsamer als Deutschland. Es ist also letztlich eine Frage der Betrachtung, ob Deutschland den Anschluss bereits verloren hat oder sich mit seiner technologischen Entwicklung unter den Top Ten der Wirtschaftsnationen gut behauptet.

Was verändert sich für die Unternehmen aktuell beim Dialog mit ihren Kunden?

Bisher war es im Grunde so, dass der Kundenservice gewartet hat, bis der Kunde ein Problem bemerkt oder eine Frage hat und sich meldet. Und „guter Kundenservice“ hieß, schnell, hilfsbereit und authentisch zu reagieren.

Heute geht es darum, möglichst viele Echtzeitdaten vom Kunden zu bekommen und sie zu nutzen. Echtzeitdaten sind Daten, die es vor zehn Minuten noch nicht gab und die in zehn Minuten schon wieder obsolet sind, die aber jetzt in diesem Moment wichtig sind und die der Kunde noch gar nicht aktiv gegeben hat: wo er sich gerade befindet, welche Bedürfnisse er gerade hat, was er sucht und so weiter. Um diese Daten zu bekommen, sind möglichst viele Sensoren um den Kunden herum nötig. Das Smartphone etwa „weiß“ in der Regel sehr genau, wo es sich befindet, was Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort des Nutzers zulässt. Um diese Daten zu nutzen, brauchen wir eine künstliche Intelligenz, die mittels Algorithmus prognostiziert, was der Kunde wann benötigt oder haben möchte – mit anderen Worten: Predictive Analytics.

 

Sensoren, die Informationen über mich haben, auf der einen Seite, künstliche Intelligenz auf der anderen – wo geht diese Reise hin?

In Zukunft wird der Kundendialog nicht mehr zwischen Menschen erfolgen, sondern zwischen dem persönlichen digitalen Assistenten des Kunden und dem digitalen Assistenten des Unternehmens. Diese beiden Bots tauschen sich aus, finden die für beide Seiten beste Lösung und führen die Transaktion durch. In den kommenden zehn Jahren entsteht eine Bot Economy, in der diese Assistenten dank eigener Wallets und vorgegebener Regelwerke eigenständig Geschäfte im Namen ihres Nutzers durchführen.

 

Kommen wir zurück in die Gegenwart. Wann fühlen Sie sich als Kunde gut aufgehoben?

Wenn der Kundenbetreuer sich auf mich einstellt. Ich bin beruflich viel unterwegs, dementsprechend Vielflieger und buche meine Flüge gerne über die Servicehotline. Und die Mitarbeiter, die mich begeistern, sehen in meinem hinterlegten Profil nicht nur, auf welchen Strecken ich Economy bevorzuge und auf welchen Business Class. Sie schlussfolgern oder implizieren auch, dass ich Familienvater bin, und bieten mir erst gar keine Flugverbindungen mit Übernachtung oder über das Wochenende an. Und tatsächlich würde ich solche Verbindungen nicht nutzen, weil ich abends meine Frau und morgens meine Kinder sehen möchte.

 

Wäre es für Sie wichtig, ob ein Bot oder ein Mensch Ihnen diesen Service bietet?

Nein. Allerdings glaube ich nicht, dass ein Unternehmensbot so intelligent sein kann, dass ich mit ihm reden möchte. Deswegen wird es die angesprochenen persönlichen Assistenten geben, die ihren Nutzer gut genug kennen, um diesen Austausch zu übernehmen.

 

Wie stehen Sie persönlich zur Digitalisierung?

Lassen Sie mich zuerst definieren, was Digitalisierung bedeutet. Denn viele Menschen haben nach meiner Ansicht eine falsche Vorstellung davon und verstehen Digitalisierung als Vernetzung. Die ist aber höchstens ein Teil davon.

Digitalisierung – wie ich sie verstehe – ist die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die der menschlichen Prognose-, Analyse- und Strategiefähigkeit deutlich überlegen ist. Digitalisierung macht die Welt intelligenter – heute ist sie menschlich intelligent, in Zukunft wird sie übermenschlich intelligent sein. Und das gibt uns die Möglichkeit, die Welt für unsere Kinder wirklich besser zu machen.

 

Was meinen Sie damit?

Dass wir es endlich schaffen werden, einige der bisher unlösbaren großen Probleme zu lösen, etwa die ausreichende Versorgung mit Nahrung, Wasser und Energie in allen Teilen der Welt. Nehmen wir die Trinkwasserversorgung. Die nötige Technologie – Entsalzungsanlagen – gibt es schon lange. Aber sie ist sehr energieintensiv und damit teuer. Die Digitalisierung wird zu einer höheren Energieproduktion durch Sonnenkollektoren auf der Erde sowie im niederen Orbit führen, woran die NASA bereits arbeitet. Damit wird es mehr als genug Energie geben, um solche Entsalzungsanlagen überall günstig zu betreiben. Aus diesen Gründen ist die Digitalisierung meiner Ansicht nach die größte Chance, die sich der Menschheit bietet.

 

 

Zur Person

Sven Gábor Jánszky (*1973) ist Zukunftsforscher und Chairman des größten Zukunftsforschungsinstituts Europas, des „2b AHEAD ThinkTank“. Unter seiner Leitung entwerfen seit 17 Jahren alljährlich 300 CEOs und Innovationschefs der europäischen Wirtschaft die Zukunfts-Szenarien und Strategieempfehlungen für die kommenden zehn Jahre.

Mit seinem Management-Strategiebuch „Rulebreaker“ wurde er zum Sprachrohr der Querdenker und disruptiven Innovatoren in der deutschen Wirtschaft. Zudem ist er Autor der Trendbücher „2020“, „2025“, „2030“, „Das Recruiting Dilemma und „Die Neuvermessung der Werte“.

 

 

Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: © ra2studio – AdobeStock

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