Die Digitalisierung des Kundenmanagements der neuen InsureTech-Unternehmen

Jetzt versichern auch die Digitalprofis
Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt verschärft sich: Inzwischen erhalten auch Start-ups die nötigen Lizenzen, um als vollwertige Versicherer auftreten zu können. Die Kunden können sich über die wachsende Vielfalt freuen, für klassische Versicherungsunternehmen wächst der Konkurrenzdruck.
Chris Kaye ist Gründer von Sherpa und einer der neuen Player auf dem Versicherungsmarkt. Das Motto der digitalen Versicherung mit Sitz auf Malta lautet: „Now it’s personal“. Was dahintersteckt, erklärte Kaye auf dem Kölner Studentenkongress „World Business Dialogue“ 2017 mithilfe von zwei Fragen an die Studenten im Hörsaal: „Wer von euch hat eine Versicherung?“ Die allermeisten meldeten sich. „Und wer von euch liebt seine Versicherung?“ Alle Hände gingen wieder runter. „Seht ihr“, sagte Kaye, „genau das will ich ändern, denn die Versicherungswirtschaft hat die emotionale Bindung zu ihren Kunden verloren.“
In diesem Jahr will Sherpa mit seinen personalisierten Versicherungsangeboten an den Start gehen, um die junge Digital-Generation zu erreichen und Versicherungen „sexy“ zu machen. „Wir versichern unsere Kunden genau für das, was sie am stärksten betrifft, sodass jeder nur die Versicherungen hat, die er wirklich braucht. Dabei wollen wir möglichst auf gefühlsentleerte technische Sprache verzichten“, erklärt Kaye, der vorher als Berater bei der Boston Consulting Group gearbeitet hat. „Wir wollen zurück zu den Wurzeln, denn eine Versicherung soll für den Kunden da sein, ihm wirklich helfen.“
Pläne für „erhebliches Wachstum“
Sherpa hat sich Großbritannien als ersten Markt vorgenommen. Auch Amazon will hier offenbar seine ehrgeizigen Pläne umsetzen. Bisher kooperierte der Versandhändler bei Produktversicherungen mit etablierten Versicherern wie Ergo oder der London General Insurance Company. Nun scheint Amazon aber selbst auf dem Versicherungsmarkt aktiv zu werden. Darauf weisen aktuelle Stellenanzeigen für den Standort London hin: Demnach will Amazon die Kundenerfahrung mit Produktversicherungen neu definieren und dabei „disruptiv verändern, wie die Policen gekauft und verkauft werden“.
Digitaler Vorsprung von Amazon
Was bedeutet es für die Beziehung zwischen Kunde und Versicherungsunternehmen, wenn diese Versicherung gleichzeitig einer der weltweit führenden Onlinehändler mit einer entsprechend umfangreichen Datenbasis und technischer Infrastruktur ist? Natürlich würde auch hier das Prinzip greifen, dass die Angebote umso besser zum Kunden passen, je mehr das Unternehmen über ihn weiß – und erfolgreiche E-Commerce-Händler wissen sehr viel über ihre Kunden. Außerdem gibt es zahlreiche Kundenkontakte und damit Möglichkeiten zum Cross- und Up-Selling: Passend zum neuen Mountainbike könnte es eine spezielle Sportunfallversicherung geben, beim Kauf des Luxus-Breitband-TVs wäre eine Gratis-Hausratversicherung als Rabattangebot denkbar und wer die Großpackung Windeln in den Einkaufskorb legt, denkt vielleicht auch über die Absicherung seiner jungen Familie nach. Das wird etablierte Versicherer enorm unter Druck setzen. Warum? Internetriesen wie Amazon oder Google sind ihnen in puncto Digitalisierung in den meisten Fällen um Lichtjahre voraus.
Digitale Services für bessere Kundenbindung
In Deutschland kommt ebenfalls Bewegung in die InsureTech-Szene. Hierzulande gab es bislang praktisch nur Start-ups, die digitale Versicherungsordner angeboten haben, mit denen Verbraucher ihre Verträge digital verwalten konnten. Jetzt betreten echte Digital-Versicherer das Parkett. Dazu gehört das Berliner Start-up Element, das im Bereich Sachversicherungen Ende 2017 die letzte Hürde genommen und eine Lizenz der Finanzaufsicht Bafin bekommen hat. Bei Element steht die Personalisierung im Vordergrund. Das Unternehmen will die Digitalisierung nutzen, um starre Angebote auf den Bedarf des Einzelnen herunterzubrechen. So sei etwa der Umrechnungsbetrag von 650 Euro pro Quadratmeter für eine Hausratsversicherung nicht mehr zeitgemäß, da nicht jeder so viele Möbel besitzt, dass dieser Betrag gerechtfertigt ist. Hier will Element gewissermaßen für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Aber Element will auch eine Brücke von der alten in die neue Versicherungswelt schlagen. Das Start-up gehört zu FinLeap, einem Unternehmen, das mit der Solaris Bank eine Plattform für FinTechs bereitstellt. Der Vorteil: Das Finanz-Start-up muss keine eigene Banklizenz beantragen, weil es an die eigens dafür gegründete Solaris Bank angedockt ist. Ein ähnliches Prinzip soll auch beim digitalen Versicherer Element greifen. Hierbei sollen etablierte Branchenvertreter auf den digitalen Zug aufspringen: Andere InsurTechs oder Versicherer liefern die Produkte, Element stellt alle digitalen Services. „Die Versicherungsbranche kann derzeit nicht die notwendige Entwicklungs- und Prozessgeschwindigkeit bieten, die Kunden und Partner heute erwarten und aus anderen Branchen kennen“, erklärt Element-Vorstand Wolff Graulich. „Bisher stoßen viele Marken und Unternehmen in der Zusammenarbeit mit Versicherern immer wieder an ihre Grenzen. Sie können daher das Potenzial von Versicherungsangeboten – besonders für Kundenbindung und Zusatzumsatz – noch nicht vollständig zu ihren Gunsten nutzen. Das werden wir ändern. Und wir verkürzen die Zeit der Markteinführung auf wenige Wochen – volldigital vom Antrag oder Vertrag bis hin zum Schadenservice.“
Krankschreibung via App
Der Münchner Anbieter Ottonova macht als digitaler Krankenversicherer gerade viel Wirbel in den sozialen Medien. An der Spitze steht der Arzt und Berater Dr. Roman Rittweger, der Ottonova zum „Tesla der Krankenversicherer“ machen will. „Nur eine neue private Krankenversicherung, die sich durch ihr Angebot, ihre Organisation und ihre Systeme auf die Digital Natives einstellt, kann die Möglichkeiten der digitalen Revolution für das Gesundheitswesen vollständig nutzen“, erklärte Rittweger der Gründerszene. Mit Ottonova wird es beispielsweise möglich sein, sich per digitalem Arztbesuch krankschreiben zu lassen, ohne eine Praxis besuchen zu müssen.
Das ist aber nur der Anfang, denn die digitale Welt bietet Möglichkeiten für neue Kundendialog-Strategien. Ottonova-Kunden steht eine Smartphone-App als Kontaktkanal zur Verfügung. Wenn ein Kunde sich etwa im Urlaub den Fuß verletzt hat, kann er sich noch am Strand direkt an seine Krankenkasse wenden. Der „Concierge“ (ein Chatbot) erklärt ihm, dass er neben einem klassischen Arztbesuch auch die digitale Konsultaion in Anspruch nehmen könne. Dabei spricht der Kunde per Video-Chat mit einem Ottonova-Arzt. Dieser kann die Verletzung über die Handy-Kamera begutachten und eine Einschätzung abgeben, ob der Kunde sich selbst helfen könnte, vielleicht mit einer Salbe, oder ob eine Behandlung erfolgen muss. Im Zweifel erspart dieser Service einen Krankenhausbesuch im Ausland. Via App versorgt Ottonova seine Kunden dann noch mit Nachsorge- und Präventions-Tipps.
Vertragsabschlüsse sind ebenfalls über dass Smartphone machbar, und zwar innerhalb von nur 30 Minuten. Auch die Erstattung von Gesundheitsausgaben soll bei Ottonova in Rekordzeit passieren. Der Kunde muss die Arztrechnung lediglich abfotografieren und mit der App hochladen, innerhalb einiger Stunden soll bereits die Erstattung erfolgen. Und natürlich bietet die App eine Timeline für Arzttermine und andere Gesundheitsereignisse.
Vorteil für Verbraucher
Die neue digitale Vielfalt bringt Verbrauchern viele Vorteile – nicht nur, weil die Konkurrenz in der Regel zu günstigen Preisen führt. Der entscheidende Punkt ist aber ein besserer und individuellerer Kundenservice. Das Beispiel Ottonova gibt einen ersten Eindruck, was alles möglich ist. „Wir behandeln jeden unserer Versicherungskunden wie eine eigenständige Person, deren Risiken sich ständig ändern“, erklärt Chris Kaye von Sherpa. „Wir wollen unseren Kunden zeigen, welche Versicherungsleistungen für sie persönlich gerade wichtig – und welche einfach nur Geldverschwendung sind.“
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
Bild: wutzkoh – AdobeStock