Neue Digitalversicherer und alte Player: Interview mit dem Geschäftsführer des InsurLab Germany, Sebastian Pitzler

Das Thema digitale Transformation ist mittlerweile voll in der Versicherungswirtschaft angekommen. Echte Digitalversicherer treten zunehmend in Konkurrenz zu den etablierten Unternehmen. Sebastian Pitzler möchte mit seinem InsurLab alte und neue Player gleichermaßen unterstützen. Im Interview spricht er über die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für die Branche.
Herr Pitzler, das Ziel des InsurLab Germany ist es, InsurTech-Start-ups und die klassische Versicherungsbranche zusammenzubringen. Was bedeutet das konkret?
Die Digitalisierung bietet viele neue Möglichkeiten, sowohl in der Kundenkommunikation als auch in der Prozessoptimierung und Schadensabwicklung. Dabei spielen Technologien wie Blockchain, künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge eine immer wichtigere Rolle. Klassische Versicherer sind in diesen Punkten auf die Unterstützung von außen angewiesen. Hier kommen InsurTechs ins Spiel – Unternehmen mit kreativen, tech-affinen Köpfen, die innovative Lösungen entwickeln und auf der Suche nach Partnern sind, um gemeinsam marktfähige Produkte zu generieren. Wir unterstützen unsere Mitglieder dabei, die InsurTech-Szene im Blick zu behalten, die passenden Start-ups für ihre Bedürfnisse zu finden und sie für die Entwicklung konkreter Projektideen an einen Tisch zu bekommen.
Wie sieht das ganz praktisch aus?
Wir haben verschiedene Angebotsformate entwickelt, die es unseren Mitgliedsunternehmen und InsurTechs erlauben, sich auszutauschen und an Use Cases und Projekten zu arbeiten. Neben individuellem Match-Making und unserem Accelerator-Programm, in dem ausgewählte Start-ups für sechs Monate intensiv von unseren Mitgliedsunternehmen gefördert werden, arbeiten wir daran, InsurTechs und die Digitalabteilungen unserer Mitgliedsunternehmen zusammenzubringen. Zudem veranstalten wir unter anderem Networking-Events, Pitch Sessions, Hackathons oder Workshops, die potenzielle Kooperationen fördern.
Was sind die größten Herausforderungen auf dem Versicherungsmarkt – unabhängig von der Unternehmensform?
Es gibt unterschiedliche Herausforderungen: von der Regulatorik über die Trägheit der eigenen IT-Systemlandschaft und Umsetzung der DSGVO bis hin zur Identifikation relevanter Trends. So macht es die DSVGO beispielsweise sowohl Versicherern als auch Start-ups aktuell nicht gerade leichter, in der digitalen Welt Fuß zu fassen. Die größte Herausforderung stellt für mich aber die richtige Einschätzung von Entwicklungstrends dar. Letztlich werden Branchen nie von Playern des eigenen Ökosystems auf den Kopf gestellt, sondern von außen. Unternehmen wie Amazon stehen ja vermeintlich bereits in den Startlöchern. Für etablierte Versicherer und InsurTechs bedeutet dies, möglichst schnell die Kundenschnittstellen und Prozesse so auszugestalten und weiterzuentwickeln, dass sie in Sachen Usability und User Experience den neuen Gewohnheiten und Ansprüchen der Kunden gerecht werden, um den großen Digitalunternehmen auf Augenhöhe begegnen zu können.
Welche Vorteile bieten echte Digitalversicherer ihrem Kunden? Und was haben die “alten” Player ihrer Konkurrenz voraus?
Die neuen Digitalversicherer sind schnell, bieten intuitiv nutzbare, immer verfügbare Kundenschnittstellen sowie sehr flexible Produkte mit kurzen Kündigungsfristen und einfach verständlichen Inhalten. Etablierte Versicherer haben das, was junge Digitalversicherer gerade erst aufbauen: Bestandskunden und große Vertriebsmannschaften. Man darf nicht unterschätzen, wie schwierig es ist, Neukunden zu gewinnen. Zudem geht es bei Versicherungen viel um Vertrauen und das genießen Marken wie AXA, Gothaer oder Roland. Digitalversicherungen müssen sich dieses Vertrauen erst noch verdienen. Zudem wissen viele Kunden den Kontakt zu einem persönlichen Ansprechpartner immer noch sehr zu schätzen.
Die persönliche Beratung spielt also nach wie vor eine große Rolle. Wie können InsurTech-Start-ups darauf reagieren?
Sie reagieren bereits. Sie arbeiten mit Chatbots oder auch persönlichen Chatfunktionen – teilweise mit Video. Oft haben Kunden so die Chance, 24 Stunden am Tag Antworten auf ihre dringendsten Fragen zu erhalten. Jedoch ersetzt das nicht den persönlichen Berater, der sich mit dem Kunden an einen Tisch setzt, professionelle Auskunft bietet und auch nach dem Befinden der Kinder fragt. Kunden, denen diese persönlichen Beziehungen wichtig sind, werden mit den digitalen Möglichkeiten alleine wahrscheinlich nicht überzeugt werden können.
Der Kunde hat sich durch die fortschreitende Digitalisierung verändert. Verändert sich auch das Bild von der Versicherung als Dienstleistung?
Allgemein lässt sich sagen, dass der digitale Kunde nicht nur ein Produkt mit einer Funktion erwerben möchte, sondern eine Art Lebensbegleiter, dessen Mehrwert über die Hauptaufgabe hinausgeht – in unserem Fall die finanzielle Absicherung. Der Begriff „Dienstleister“ fällt immer mehr ins Gewicht. In Zeiten der Selbstvermessung und -optimierung lässt sich dies am Beispiel von „Smart Wearables“ gut erläutern: Krankenversicherungen könnten vergünstigt Fitnessarmbänder anbieten, wenn sie im Gegenzug unter definierten Rahmenbedingungen die Daten der Kunden auswerten dürfen und ihnen bei regelmäßiger Bewegung Vergünstigungen einräumen oder Fitness-Coach-artige Hilfen an die Hand geben.
Wie können etablierte und neue Unternehmen voneinander profitieren?
Die Zusammenarbeit von etablierten Versicherungen und Start-ups ist eine klare Win-Win-Situation. Start-ups gewinnen einen neuen Referenzkunden, können mit realen Daten arbeiten, sich austesten und auf Basis der Zusammenarbeit ihr Geschäft skalieren. Versicherer profitieren von den neuen Technologien und Produktinnovationen, die sie ihren Kunden anbieten können. Zudem erhalten sie tiefe Einblicke in die agilen Arbeitsprozesse der Start-ups sowie deren Herangehensweisen und Experimentierfreudigkeit in der Produktentwicklung.
Und wie sieht es bei Kollaborationen zwischen etablierten und neuen, reinen Digitalversicherern aus?
Diese gestalten sich etwas schwieriger, aber dennoch durchaus interessant. Denn beide Seiten haben ihre Stärken: Während etablierte Unternehmen von Digitalversicherungen mehr über die Kundenschnittstelle von morgen lernen können, haben junge Unternehmen die Chance, von der jahrelangen Erfahrung der etablierten Mitbewerber zu profitieren und so die eine oder andere Fehlentscheidung zu vermeiden. Jedoch bewegen sich beide Player im gleichen Markt. Da möchte man sich natürlich nicht zu sehr in die Karten sehen lassen. Sogenannte B2B- oder B2B2C-Kooperationsmodelle können aber auch in dieser Konstellation beiden Seiten neues Geschäftspotenzial eröffnen.
Wie sieht der Versicherungsmarkt Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aus?
Versicherungen werden künftig Teil größerer, digitaler Ökosysteme sein, die sich um das gesamte Leben eines Menschen aufbauen. Beispielsweise wird mit dem Mietwagen direkt eine Unfall- und Autoversicherung abgeschlossen. Versicherungen werden eine Art unsichtbares Sicherheitsnetz in jeder Lebenssituation. Zudem gehe ich davon aus, dass sich der Markt weiter ausdünnen wird, wie es auch bei Handyanbietern oder Softwarelösungen der Fall war. Daher sollten Versicherungen jetzt schon an gemeinsamen Projekten mit Marktbegleitern arbeiten und lernen, neue Technologien für sich und die Beziehung zum Kunden zu nutzen.
Sebastian Pitzler
Sebastian Pitzler (36) absolvierte seinen Executive MBA in Innovation and Business Creation an der TUM School of Management (Technische Universität München). Seit 2001 war er für die Ergo-Versicherung in unterschiedlichen Positionen an der Schnittstelle zwischen IT und Versicherungsfachbereich tätig. In den vergangenen Jahren spezialisierte er sich auf die Themen Strategie, Innovation und Digitalisierung und verantwortet seit 2015 als Leiter des Ergo Digital Labs den Auf- und Ausbau dieses Innovationslabors in der Berliner Start-up-Szene. Seit dem Frühjahr 2018 ist Pitzler Geschäftsführer des InsurLab Germany e.V. − der Plattform für die Vernetzung von Versicherungsunternehmen und InsurTech-Start-ups in Deutschland und Teil der de:hub-Initiative.
Autor: Redaktion Zukunft. Kunde.
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